Mehr als nur Neuronen
Dieser Abschnitt beschäftigt sich nicht mit Tipps und Tricks zum Lernen oder mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung. Das Thema Lernen hat in den letzten Jahren interessante Ausmaße angenommen. Ich kenne Personen, die sich mehr mit dem Lernen beschäftigen als eigentlichen irgendetwas zu Lernen. Hier zeigt sich ein wichtiger Aspekt im Bereich des Self Leaderships: Der moderne Mensch im Berufsleben hat nicht die Zeit, sich monatelang mit der Frage auseinanderzusetzen, wie man lernt. Zudem bin ich der Meinung, dass viele aktuelle Bücher, die Lernen mit Neurologie verbinden, für die meisten Leser wenig Mehrwert bieten. Oft laufen Leser mit einem erschreckenden Halbwissen herum und sprechen über Neuronen, ohne die Grundlagen des Gehirns zu verstehen.
Wie viele andere habe auch ich ein oder zwei dieser Bücher gelesen. Ehrlich gesagt gestehe ich mir jedoch ein, dass ich nicht in der Position bin, fundierte Aussagen über Neuronen zu machen. Daher betrachten wir das Lernen aus einem anderen Blickwinkel.
Wer motiviert ist und an seinem Selbstbild arbeitet, muss sich darauf einstellen, lebenslang zu lernen. Was für manchen vielleicht einschüchternd wirkt, finde ich besonders spannend. Schon immer war ich interessiert daran, wie Dinge funktionieren: Wie werden sie produziert? Warum wurde sich für Werkstoff A und nicht für B entschieden? War es eine technische oder geschäftliche Entscheidung?
Wenn wir uns das Lernen vor unserem geistigen Auge vorstellen, sehen viele Menschen ein Klassenzimmer. Für mich ist diese Vorstellung jedoch eher begrenzt. Ich sehe vor mir eine unendliche Welt voller Daten, Erfahrungen und Chancen.
Im Alltag lernen wir ständig, auch wenn wir das nicht immer bewusst wahrnehmen. Dabei können wir zwei unterschiedliche Haltungen einnehmen: eine fixierte Haltung und eine wachstumsorientierte Haltung.
Welche Haltung hast du?
Die fixierte Haltung ist die Haltung, die wir vermeiden sollten. Sie basiert auf festen Überzeugungen und vermeintlichen Begrenzungen, die entweder wir selbst oder andere fälschlicherweise für uns definiert haben. Zum Beispiel könnte man denken: „Ich bin schlecht in Mathematik, daher werde ich es nie verstehen.“ Oder: „Meine Rechtschreibung ist schlecht, also werde ich es nie schaffen, in einem fachspezifischen Magazin veröffentlicht zu werden.“
Diese Haltungen sind entweder falsch oder stellen lediglich einen statischen Zeitpunkt dar. Es mag zutreffen, dass jemand aktuell Schwierigkeiten in Mathematik hat, aber das liegt oft daran, dass diese Person sich nicht bemüht, ihre Fähigkeiten zu verbessern. Solche fixierten Haltungen können in den meisten Fällen durch Motivation und ein verbessertes Selbstbild überwunden werden. Durch gezielte Anstrengung und eine positive Einstellung kann man seine Fähigkeiten weiterentwickeln und alte Überzeugungen in Frage stellen.
Wenn wir die fixierte Haltung überwinden, treten wir in eine wachstumsorientierte Haltung über. In dieser Perspektive wachsen wir an jedem Problem und lernen durch jede Herausforderung. Bei einer wachstumsorientierten Haltung vergleichen wir uns nicht mehr mit anderen, sondern nur noch mit uns selbst. Wir messen unseren Fortschritt anhand unserer eigenen Daten: Wie gut war ich gestern? Wie gut war ich vor einem Monat? Wie gut war ich vor einem Jahr? Es geht um Self-Leadership, nicht um Other-Leadership.
Übrigens entwickeln sich Schüler oft viel besser, wenn sie sich nur mit sich selbst vergleichen und nicht mit anderen. Dieser Faktor ist anfangs möglicherweise schwierig, da wir es gewohnt sind, uns mit anderen zu messen. Schon im Kindesalter werden wir darauf gedrillt, dass das Kind mit den besten Noten die meiste Aufmerksamkeit von Lehrern erhält und der beste Sportler die größte Trophäe bekommt. Wir werden darauf konditioniert, dass es immer nur einen Besten gibt und Fortschritt linear gemessen wird. Diese Denkweise ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Jeder Fortschritt muss individuell gemessen werden. Was im wissenschaftlichen Kontext häufiger Anwendung findet, fehlt im persönlichen Bereich oft noch.
Wo lernen wir?
Die Frage, wo wir lernen, ist nicht so einfach zu beantworten. Wir lernen nicht nur in der Schule oder im Studium. Wir lernen auch im Beruf, in der Freizeit und im Alltag. Wir lernen durch Erfahrungen, durch Fehler und durch Erfolge. Wir lernen durch Gespräche, durch Bücher und durch Videos. Wir lernen durch Beobachtung, durch Nachahmung und durch Experimente.
Werfen wir einen Blick auf die Berufswelt, sehen wir oft Führungspersonen, die mit eiserner Hand regieren. Meetings wirken wie Checklisten bei einem Flugzeugcheck, und Retrospektiven sind lästige Meetings, in denen man auch schnell ein paar E-Mails beantworten kann. Als Führungskraft ist es nicht zwingend erforderlich, die Details jedes Projekts im Detail zu verstehen. Doch dieses überspitzte Beispiel soll uns zum Nachdenken anregen.
Aus jedem Projekt kann man etwas lernen, und jede Person im Team bringt eine einzigartige Perspektive mit, die aufschlussreich für uns sein kann. Wir sollten alle diese Situationen nutzen, um zu lernen. Ein kurzes Gespräch am Kaffeeautomaten muss sich nicht nur um das letzte Wochenende drehen—nicht dass ich nicht wissen möchte, dass Klaus letzte Woche fischen war. Vielmehr möchte ich erfahren, was ich tun kann, damit Klaus in der Produktion besser und effizienter arbeiten kann. Und das muss nicht immer von der hierarchisch höheren Person ausgehen. Klaus kann genauso gut den Vorgesetzten Peter bei einem schnellen Kaffee fragen, warum in der Produktion gespart wird. Auch hier ergibt sich eine Möglichkeit zu lernen.
Wenn wir im Alltag versuchen zu lernen, erkennen wir nicht immer sofort, warum wir etwas lernen. Oft fehlen Informationen, um daraus etwas zu formen, das für uns einen echten Mehrwert bietet. Doch je offener wir beim Lernen sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, diesen Mehrwert zu finden.
Um aus Gesprächen effektiv lernen zu können, ist es oft notwendig, schlagfertig argumentieren zu können. Genau darum wird es im nächsten Artikel gehen.