Amoklauf in Graz - Ego-Shooter im Visier aber ohne Rückhalt aus der Politik

Nach dem Amoklauf von Graz suchten Boulevardmedien schnell nach Erklärungen und stießen erneut auf Ego-Shooter. Doch Politik und Wissenschaft setzen längst andere Prioritäten

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Amoklauf in Graz - Ego-Shooter im Visier aber ohne Rückhalt aus der Politik

Am 10. Juni 2025 erschoss ein 21-jähriger Ex-Schüler in einer Grazer Schule elf Menschen, verletzte weitere elf (Stand: 17. 06. 2025) und beging anschließend Suizid. Bald darauf wurde bekannt, dass der Täter ein leidenschaftlicher Spieler von Ego-Shooter-Videospielen war Quelle.

Dieses Detail rückte schnell in den Fokus der medialen Berichterstattung und einiger öffentlicher Reaktionen. Insbesondere Boulevardmedien stellten einen Zusammenhang zu den Computerspielen her.

So schrieb die österreichische Kronen Zeitung am 13. Juni 2025, dass sich ein Muster durch die Biografien vergangener Schulamokläufer ziehe – “Columbine in den USA, Erfurt und Winnenden in Deutschland und bei uns Graz – die Täter waren alle begeisterte Ego-Shooter-Gamer” und stellte die Frage, ob das Hobby des 21-Jährigen Arthur A. seine Entwicklung zum Amokläufer begünstigt habe Kronen Zeitung.

Ebenso schilderte die deutsche BILD-Zeitung den Täter als Einzelgänger, der “einsam in seiner Ego-Shooter-Welt” gelebt habe BILD.

Auch die Wiener Gratiszeitung und Heute rückte die Vorliebe des Täters für Videospiele in den Vordergrund. Heute.

Österreichs Politik vermeidet “Killerspiel”-Debatte

Offizielle Stellen in Österreich vermieden jedoch weitgehend vorschnelle Schuldzuweisungen an Videospiele. Führende Politiker machten Computerspiele nicht unmittelbar zum Hauptthema. Der öffentliche Diskurs konzentrierte sich in den ersten Tagen nach der Tat eher auf Waffenrecht und psychologische Betreuung.

Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen etwa sagte am 11. Juni nach einem Lokalaugenschein: “Wenn wir zum Schluss kommen, dass das Waffengesetz geändert werden muss, dann werden wir das auch tun.” Wikipedia. Bundeskanzler Christian Stocker kündigte Maßnahmen zur Verschärfung des Waffenrechts und zur Schulpsychologie an.

Eine neue “Killerspiel”-Debatte blieb hingegen zunächst aus. Bis Mitte Juni gab es keine prominenten Forderungen aus der österreichischen Innenpolitik, gewalthaltige Videospiele zu verbieten oder stärker zu regulieren ein bemerkenswerter Unterschied zur Aufarbeitung früherer Amokläufe, etwa in Deutschland.

Historische Einordnung: Debatten nach Erfurt (2002) und Winnenden (2009) Frühere Amokläufe in Deutschland lösten intensive Debatten über gewalthaltige Videospiele oft als “Killerspiele” bezeichnet aus. Nach dem Massaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium im April 2002 (bei dem der 19-jährige Täter 16 Menschen und sich selbst tötete) reagierten Politiker über Parteigrenzen hinweg mit Forderungen nach Verboten solcher Spiele.

Bereits wenige Tage nach Erfurt verlangte der bayerische Ministerpräsident und damalige Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) ein Verbot von “Killerspielen am Computer”. Stoiber sagte in einem Interview mit Welt am Sonntag ausdrücklich: “Was wir jetzt dringend brauchen, ist eine größere Intoleranz gegenüber der Darstellung und Verherrlichung von Gewalt.” Spiegel.

Auch Franz Müntefering, seinerzeit SPD-Generalsekretär, äußerte sich ähnlich und konnte sich Verbote von Gewaltdarstellungen in den Medien vorstellen Spiegel. Diese Stimmen spiegelten die weit verbreitete Annahme wider, dass exzessive Gewaltspiele wie Counter-Strike oder Quake mitverantwortlich für solche Taten sein könnten.

In der Politik wurde über schärfere Jugendschutzgesetze und Medienzensur nachgedacht. Tatsächlich ging der Bundestag in den folgenden Jahren das Thema an und verschärfte die Regulierung solcher Spiele leicht, ohne jedoch ein Totalverbot umzusetzen.

Beginn der “Killerspiel”-Verbotsforderungen

Auch nach dem Schul-Amoklauf in Winnenden (Baden-Württemberg) im März 2009 flammte die Killerspiel-Debatte erneut auf. Der 17-jährige Täter von Winnenden hatte Medienberichten zufolge ebenfalls Ego-Shooter gespielt, was Politiker zum Anlass nahmen, erneut Restriktionen zu fordern.

Im Juni 2009, drei Monate nach der Tat mit 15 Toten – beschloss die Innenministerkonferenz (IMK) von Bund und Ländern einstimmig, ein Verbot von Herstellung und Vertrieb gewalthaltiger Computerspiele zu verlangen taz.

In ihrer Mitteilung definierten die Innenminister “Killerspiele” als Spiele, “bei denen ein wesentlicher Bestandteil der Spielhandlung die virtuelle Ausübung von wirklichkeitsnah dargestellten Tötungshandlungen […] gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen ist” taz.

Uwe Schünemann (CDU), der damalige Innenminister von Niedersachsen, wurde mit den Worten zitiert: ”Durch Killerspiele sinkt die Hemmschwelle zur Gewalt”, und Amokläufer hätten sich “vor ihren Taten immer wieder mit solchen Spielen beschäftigt.” taz.

Schünemann forderte den Bundestag auf, das Verbot noch vor der Bundestagswahl 2009 umzusetzen. Diese Haltung war keineswegs ein Einzelphänomen auch andere Politiker und Medien griffen 2009 die Idee auf, ein umfassendes “Killerspiel”-Verbot gesetzlich zu verankern. Parallel wurden damals auch das Waffenrecht verschärft und Maßnahmen zur besseren Aufbewahrung von Schusswaffen beschlossen, doch die Diskussion um Videospiele nahm einen zentralen Platz in der öffentlichen Aufarbeitung ein.

Wissenschaft gibt Entwarnung

Während Politiker in der Vergangenheit und Boulevardmedien noch immer Ego-Shooter als möglichen Auslöser von Gewalt ins Spiel bringen, zeichnet die Wissenschaft ein völlig anderes Bild. Aktuelle Studien können keinen klaren Zusammenhang zwischen dem Konsum von gewalthaltigen Videospielen und realen Gewalttaten wie Amokläufen feststellen.

So zeigt etwa eine Untersuchung “Does Media Violence Predict Societal Violence?” Wiley, dass trotz zunehmenden Konsums von Ego-Shootern die Jugendgewalt sogar deutlich zurückging. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen Videospielen und gesellschaftlicher Gewalt sei nicht belegbar.

Auch eine weitere Studie, “The Impact of Degree of Exposure to Violent Video Games” PubMed, kommt zu ähnlichen Ergebnissen: Sobald man soziale und familiäre Faktoren einbezieht, verschwindet der vermeintliche Effekt gewalthaltiger Videospiele komplett.

Wichtiger seien dagegen Familie, Erziehung und soziales Umfeld. Diese Forschungsergebnisse beziehen sich nicht konkret auf den Amoklauf von Graz, doch sie zeigen deutlich, dass es wissenschaftlich keine Grundlage gibt, Ego-Shooter als wesentliche Ursache für reale Gewalttaten verantwortlich zu machen.

Gesellschaftliche Debatte im Wandel?

Die Reaktionen auf den Grazer Schul-Amoklauf zeigen deutlich, wie sehr sich die öffentliche Debatte über sogenannte “Killerspiele” verändert hat. Während nach Erfurt und Winnenden führende Politiker und Medien nahezu automatisch Videospiele als mögliche Ursache ins Visier nahmen, blieb diese Diskussion in Österreich nach Graz auffällig zurückhaltend.

Zwar versuchten Boulevardblätter und einige Tageszeitungen wie die Kronen Zeitung, Heute oder Bild noch mit aufmerksamkeitserregenden Schlagzeilen den Fokus auf Ego-Shooter zu lenken, doch die politische Debatte folgte dem diesmal nicht.

Offizielle Stellen setzten stattdessen auf Themen wie Waffenrecht und psychologische Unterstützung. Diese Zurückhaltung deckt sich mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die keinen relevanten Zusammenhang zwischen Ego-Shootern und realer Gewalt bestätigen.

Offenbar hat die jahrelange Diskussion zu einem Umdenken geführt: Computerspiele werden heute differenzierter betrachtet, Politik und Gesellschaft scheinen zunehmend wissenschaftliche Evidenz vor emotional aufgeladene Schuldzuweisungen zu stellen.