Einleitung
Ich habe drei Monate gewartet, diesen Blogpost zu schreiben, und er schwirrt mir seitdem im Kopf herum. Heute reden wir über Rage Bait.
Definition: Rage-Bait sind Inhalte, die absichtlich Wut oder Ärger hervorrufen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Sie verwenden oft kontroverse Themen oder provokante Sprache, um emotionale Reaktionen zu provozieren. Das Ziel ist es, Nutzer zu engagieren, ihre Meinungen zu polarisieren und so Interaktionen zu generieren.
Akt 1: Kleine Überschriften und große Wirkung
Beginnen wir mit YouTube, einem der sozialen Medien, wo ich der Meinung bin, dass ich am meisten Menschen helfen kann, Programmieren zu lernen. Das habe ich auch mehrmals bewiesen, jedoch steht das Problem des Aufwands der Entlohnung gegenüber. Denn ich bin kein YouTube-Partner, weil ich zu wenig WatchTime habe. Daher dachte ich mir, warum versuchen wir nicht Titel, die auf Rage-bait abzielen. Die meisten davon beginnen mit “Ist das das Ende von” oder “Ist das der x-Killer?”. Das funktioniert auch gut, denn diese Videos erhalten in der Regel bis zu 20-mal mehr Views und WatchTime als “unschuldige” Lernvideos. Das finde ich schade aus meiner Sicht. Denn ich würde viel lieber “ehrlichere” Titel wählen und Themen behandeln, die man sich auch in 5 Jahren noch ansehen kann. Gerne würde ich auch wieder 20-teilige Playlists zu einem Thema erstellen. Aber im Moment sieht es für mich nicht danach aus. Da die Inhalte der Videos trotz Clickbait-Titel inhaltlich korrekt sind, bekomme ich weniger Leute, die darauf hierauf negativ reagieren. Zwei oder drei gibt es dann doch, aber das hält sich in Grenzen.
Akt2: Lustige Bilder und Menschen mit empfindlichen Egos
Vor Kurzem kam Threads nach Europa. Okay, ehrlich gesagt, vier Monate sind für die Internetzeit eine halbe Ewigkeit, aber damals stand ich vor der Frage: Was mache ich mit Threads? TikTok, YouTube, LinkedIn, bezahlte Videos, Student und Fachredakteur sein - das füllt mich schon sehr aus, und man möchte ja auch noch ein Fünkchen Freizeit haben. Daher war es für mich nicht möglich, Originalcontent dafür zu erstellen.
Was mir aber in den Sinn kam, war: Was ist, wenn wir ein Experiment daraus machen? Ich habe schon öfter gesehen, dass Leute einfach meinen Content klauen, teilweise Zeile für Zeile mit demselben Code, usw. Daher dachte ich mir, was passiert, wenn ich ein paar Monate lang einfach Content von X (ehemals Twitter) klau und nichts daran verändere. Das tat ich dann auch jeden Tag - ich habe 2-4 Programmier-Memes, die irgendjemand auf X gepostet hat, einfach auf meinen Threads-Account hochgeladen.
Ich habe mir nicht einmal angesehen, was für Memes das waren. Drei Monate später hatte ich 1.100 Threads-Follower, ohne dass ich auch nur einen Funken Kreativität reinstecken musste.
Manche hatten 30, 100, 1000, und manche sogar 2000 Likes. Die Antworten habe ich selten gelesen, weil es mir einfach egal war. Irgendwann ist mir aufgefallen, dass ich dann sehr viele Kommentare gerade auf die Memes mit über 500 Likes hatte. Ich dachte mir, schauen wir mal rein, und siehe da: Die Memes, die sich lustig über Programmiersprachen oder Bibliotheken gemacht haben, hatten eine Unmenge an Kommentaren, wo ich das Ego der Kommentierenden verletzt habe. Ich fand das irgendwie witzig. Ich weiß nicht, ob das an der Programmier-Community alleine liegt oder ob das einfach bei allen Berufsgruppen so ist, aber die lustigen Bildchen haben sehr viele negative Emotionen meinem Threads-Account gegenüber ausgelöst.
Rage-Bait funktioniert auf Threads einfach sehr gut, was soll ich sagen. Die Frequenz habe ich zurückgeschraubt, denn ich bin mir unsicher, wohin mit dem Account. Aber diese Erfahrung bringt uns zu unserem dritten Akt.
Akt 3: Ein App, wo Kinder tanzen und Erwachsene sich streiten
Wusstest du, dass über 50 % der TikTok-Nutzer über 30 Jahre alt sind? Eigentlich ist es ja egal, wie alt jemand ist. Aber wenn du das liest, weißt du wahrscheinlich, dass mein TikTok-Account mein größter Account ist. Bereits vor 2 Jahren habe ich das Wort ‘GitHub’ als ‘Gschithub’ ausgesprochen, damals inspiriert von der Dame, die mit einer falschen Aussprache von ‘Avocado’ viral gegangen ist. Das brachte mir auch ein paar hunderttausend Views und viele schnelle und einfache Videos, aber ich habe den Spaß irgendwann aufgelöst. Doch gehen wir zurück in die Mitvergangenheit: Vor Kurzem musste ich bei der Planung meiner TikToks an Threads denken und daran, wie viele Likes und Kommentare meine unbeabsichtigten Ragebaits gebracht haben.
Meine Idee war es, das zu nutzen. Vor dieser Planungsphase habe ich viele Coding-Challenges gemacht und dabei festgestellt, dass sehr viele Menschen keine Ahnung von Algorithmen und Datenstrukturen haben. Ich habe dabei so viel Falsches in den Kommentaren gelesen, dass ich mich auch irgendwann entschieden habe, alle Kommentare zu löschen. Warum gleich alle? Dann ist niemand beleidigt, dass Peters Kommentar noch drauf ist, aber der eigene nicht.
Nicht dass das jetzt jemand falsch versteht, wenn ich von ‘falsch’ rede, shame ich niemanden, der gerade Programmieren lernt. Wenn ich von ‘falsch’ rede, beziehe ich mich auf Leute, die sich sehr sicher ihrer Meinung sind, aber ohne jemals etwas gebenchmarkt zu haben, einfach glauben, dass ihre Lösung performanter ist. Jeder Mensch kann auf meinen Kanälen immer nachfragen, wenn er etwas nicht verstanden hat, und ich erkläre das auch gerne.
Die Frage war: Wie baitet ich meine TikTok-Zuschauer? Ich wollte keinen zu offensichtlichen Fehler einbauen, daher habe ich mir lange überlegt, wo ich was reinschummle. Schritt eins war definitiv, eine ‘while’-Schleife zu nutzen, denn aus irgendeinem Grund kommen sehr viele TikTok-Zuschauer nicht klar mit einer ‘while’-Schleife. Aber das war zu wenig. Ich habe ein echtes Beispiel von Microsoft genommen und wollte sicherstellen, dass das Ganze auf jeden Fall von einer Runtime ausgeführt wird, aber dennoch etwas Falsches darin haben muss.
Mir ist besonders aufgefallen, gerade beim Thema JavaScript, dass sich die meisten nicht ausreichend mit den grundlegenden Funktionsweisen auseinandergesetzt haben. Daher habe ich einfach mal eine Schleife gebaut, die auf ein Array zugreift, das über den Index hinausläuft. Was passiert hier in einer statisch typisierten Sprache wie Java zum Beispiel? Es kommt zu einem IndexOutOfBound-Fehler. Was passiert in JavaScript? Es kommt einfach ein ‘undefined’. Das bedeutet, mein Algorithmus funktioniert, greift aber einfach einmal öfter und sinnlos auf das Array zu. Das Ganze habe ich dann noch in einem Video festgehalten, in dem wir auch auf ein Array zugreifen mussten, und fertig war meine Falle.
Meine korrekten Coding-Challenges hatten bis zu 31k Views. Das bedeutet, dass die Version mit dem Fehler viel, viel mehr Views bekommen muss, oder? Ich habe doch meine Annahme mit YouTube und Threads bewiesen!
Naja, falsch gedacht. Es haben sich ein paar Leute aufgeregt, aber das Video hat sehr schlecht performt. Beim zweiten Video ist es bis jetzt niemandem aufgefallen. Naja, was soll’s.
Akt 4: War es das wert, seine Seele zu verkaufen?
Während ich Threads als Experiment betrachte und ich dort keine Bindung zu irgendwem habe, ist es mir ziemlich egal. Wenn dich Memes dazu bringen, andere zu beschimpfen und dein Ego zu kränken, klingt das nach einem Problem von dir. Bei YouTube sind es nur die Titel, der Inhalt kommt von Herzen und ist ohne Rage-Bait oder übertriebene Meinung, um Views zu farmen, alles ehrlich und authentisch sozusagen. Bei TikTok ging das Ganze mehr oder weniger in die Hose und die Frage, die bleibt: Was bedeuten solche Fehler für meine Reputation? Ich habe keine Angst, dass diese von zwei kleinen (absichtlichen) Fehlern gefährdet wird. Die nächsten Videos werden wieder ohne absichtliche Rage-Bait-Fehler auskommen müssen.
Habe ich etwas daraus gelernt? Eher wahrscheinlich nicht. Social Media ist ein Ort, wo viele Leute beweisen wollen, wie gut sie sind, auch wenn sie das nicht immer sind. Besonders der jüngeren Generation muss ich vor Augen halten, dass Social Media und die Realwelt zwei paar Schuhe sind. Denn es ist einfach so, dass in der Realwelt die absolute Mehrheit der Menschen rationaler handeln. Warum ist das so? In Social Media ist ein Großteil der Zuschauer nur passiv. Wenn wir zum Beispiel ein Video von mir betrachten, sehen 10.000 einzigartige Zuschauer zu, aber es können zum Beispiel 50 Kommentare stark herausstechen mit stark irrationalen Meinungen. Wenn man nur den Kommentarbereich betrachtet, denkt man, die Mehrheit der Zuschauer sei ein wenig verrückt. Aber die Mehrheit wird durch die 9.950 passiven Zuschauer repräsentiert. Und im echten Leben treffen wir halt im Schnitt auf mehr der rationale Menschen und weniger auf die irrationalen.
Akt 5: Sonstiges
Genug geredet über Negatives, ich möchte diesen Blogpost positiv abschließen. Das Beste, was in den letzten zwei Wochen passiert ist: Ich habe wieder einmal einem meiner Zuschauer ein Vorstellungsgespräch bei einem wirklich guten Unternehmen verschafft.In diesem Sinne, baba!